Wer mich kennt, weiß von meiner Begeisterung für Wonder Woman (und Star Wars, aber davon mehr ein anderes Mal…). Seit Jahren steht mir diese Superheldin als Symbol für einen kraftvollen Teil zur Seite (meine ehemaligen Schüler:innen könnten davon berichten 😊) und darüber hinaus verwende ich vor allem in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen – aber auch mit Erwachsenen – gerne zuweilen Superheld:innen zur Selbstwert- und Ressourcenstärkung. 2019 habe ich einen Kinderworkshop für Mädchen mit dem Titel „Wonder Girls – finde die Superheldin in dir“ gehalten und das war eine wunderbare Erfahrung. Mit Wonder Woman habe ich mich näher beschäftigt und nicht nur das ausführliche Werk von Jill Lepore – „Die geheime Geschichte von Wonder Woman“ – gelesen, sondern auch das Buch „The Psychology of Wonder Woman“, in welchem Psycholog:innen verschiedene Aspekte dieser Amazone beleuchten. Im Zuge meiner Beschäftigung mit dieser Heldin stieß ich unter anderem auf Beiträge von Janina Scarlet und fand heraus, dass diese Psychologin eine Form von „Superhero Therapy“ entwickelt hat. Natürlich musste ich sofort auch ihre Bücher mein Eigen nennen.
Die klinische Psychologin Janina Scarlet wurde in der Ukraine geboren und war ein kleines Mädchen, als es zum katastrophalen Reaktorunfall in Tschernobyl kam. Durch die freigewordene Radioaktivität und die dadurch erlittene Verstrahlung trug sie lebenslange Konsequenzen davon, ihr Immunsystem wurde geschädigt, sie litt fortan an verschiedenen körperlichen Beschwerden und verbrachte immer wieder Zeit in Krankenhäusern. In ihrem Arbeitsbuch „Superhero Therapy for anxiety and trauma“ beschreibt sie, sich in den schwierigen Zeiten schwach und „kaputt“ gefühlt und befürchtet zu haben, sterben zu müssen. Sie liebte es, Geschichten von Helden zu lesen, und erinnert sich an ihren Wunsch, über außerordentliche Fähigkeiten zu verfügen, um sich selbst und andere Kinder im Krankenhaus zu retten. Als sie 12 Jahre alt war, wanderte sie mit ihren Eltern in die USA aus – nachdem sie und ihre Familie als Juden lange Zeit Diskriminierung erlebt hatten und musste in ihrer Schulzeit die Erfahrung machen, dass Schulkolleg:innen sie mieden, weil sie meinten, sie sei „radioaktiv“, sie für ansteckend hielten und fragten, ob sie im Dunklen leuchten würde.[1] Scarlet musste Coping Strategien entwickeln, um mit dieser Situation umzugehen und fand, wie sie in einem anderen ihrer Bücher beschreibt, Unterstützung in Fantasy-Büchern und im Film „Super Mutants“.[2] Als sie mit 16 Jahren schließlich den Film „X-Men“ sah, veränderte sich für sie vieles. Sie erkannte, dass Geschichten wie diese, die sie berührte und stärkte, das Potenzial in sich tragen, dass Menschen sich verstanden fühlen, sich identifizieren können und dadurch Stärkung erfahren. „[…] stories can help people to feel more understood and less alone. It made me rethink my own story and for the first time in my life, instead of thinking of myself as a victim, I thought of myself as a survivor.“[3] Sie erkannte die tiefgreifenden Möglichkeiten, die Geschichten für die Verarbeitung traumatischer Erlebnisse und emotionaler Verletzungen bieten. Und sie beschloss, Psychologie zu studieren.
„Superhero Therapy“ an sich wurde nicht von Janine Scarlet erfunden, viele Therapeut:innen haben bereits auf unterschiedliche Weisen mit Superheld:innen gearbeitet. In einem Interview in der Online Version von „Psychology Today“ meint Scarlet dazu: „Several therapists, including myself, have been using Superhero Therapy to treat a variety of disorders, including anxiety, depression, and posttraumatic stress disorder. (PTSD). This is done by incorporating examples from comic books, movies and TV shows as the means allow the client to better understand what he or she is experiencing.“[4]
Als einen wesentlichen Teil dieses heilsamen Potenzials von Heldenfiguren, Superheld:innen, Identifikationsfiguren führt sie die Erfahrung des gemeinsamen Menschseins an, das eine der drei Hauptsäulen ist, die wir auch in „achtsamem Selbstmitgefühl“ („Mindful selfcompassion“, MSC) finden. Das Gefühl, mit seinem Schmerz, seinen Erlebnissen, seiner Geschichte nicht allein zu sein, sondern zu erleben, dass auch andere durch schwierige Erfahrungen durchgehen, kann beruhigende und stärkende Wirkung auf uns haben. Wir sind bindungsorientierte, soziale Lebewesen, deren Hormonsystem auf Bindung, Zugehörigkeit, Fürsorge beruhigend und entspannend reagiert: „Research suggests that when we identify that we have gone through a painful experience just as others have (the concept of common humanity), that this can allow us to feel more connected and that connection with others might even inspire physiological changes in the body, such as the release of a hormone, oxytocine, which has been shown to be related to increased feelings of love and compassion, reduced stress, reduced depression and anxiety, and increased lifespan.“[5]
Darüber hinaus bieten Superheld:innen natürlich noch zahlreiche weitere Möglichkeiten: als Anteile in einer Form von Anteile-Arbeit, als Ressourcenstärkung durch die Entdeckung eigener „Superkräfte“, als Chance, durch „Reframing“ umzudeuten, … Aber das würde den Rahmen dieses Blogs sprengen, darum werde ich mich wohl auch diesem Thema in einem ausführlicheren Beitrag widmen…
Wer hatte bloß diese Blog-Idee? Ich werde aus dem Schreiben gar nicht mehr herauskommen! 😊
[1]Vgl. Scarlet, Janina: Superhero Therapy for anxiety and trauma. A professional Guide with ATC and CBT-based Activities and Worksheets for All Ages. London: Jessica Kingsley Publishers, 2021, S. 13f.
[2] Vgl. Scarlet, Janina: Superhero Therapy. A hero’s journey through acceptance and commitment therapy. London: Robinson, 2016, S. 7-11.
[3] Scarlet: Superhero Therapy for anxiety and trauma, S. 14f.
[4] zitiert nach: Langley, Travis: What Is Superhero Therapy? Dr. Janina Scarlet explains how fictional superheroes can help in real therapy. 14.5.2014. https://www.psychologtoday.com/intl/blog/beyond-heroes-and-villains/201405/what-is-superhero-therapy?amp; letzter Zugriff: 11.8.2024.
[5] Zitiert nach: Langley, 2014; letzter Zugriff: 11.8.2024.
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